KANAL X


Der Leipziger Piratensender Kanal X ging am 17. März 1990, dem Vorabend der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR, auf Sendung. Als Fernsehkanal existierte er bis April 1991, nachdem ihm eine Sendelizenz in der nun gesamtdeutschen Medienlandschaft verwehrt wurde. Das Projekt existierte allerdings bis 1994 als „Kanal X – Lokaler Fernsehsender Leipzig – International e.V.“ weiter und produzierte u.a. Beiträge für andere Fernsehanstalten.

Logo des Piratensender Kanal X

Der gesamte erhalten gebliebene Bestand des Senders wurde dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig übergeben und ist damit öffentlich nutzbar. Die über 500 Kassetten und mehr als 100 Stunden digitalisierten Filme dokumentieren sehr facettenreich die Zeit gewaltiger mentaler, sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und städtebaulicher Umbrüche in Ostdeutschland, speziell in Leipzig und Umgebung. Neben der medienhistorischen und dokumentarischen Perspektive lassen sich mittels des Bestandes gegenwärtige politische Auseinandersetzungen auf ihre Anfänge im gerade wiedervereinten Deutschland zurückführen.

Piratensender „Kanal X“ – Das kurze Jahr der Anarchie im DDR-Fernsehen

Straßenumfragen

Kanal X - Straßenumfragen

In den Jahren 1990/91 entstanden viele Interviews mit Passantinnen und Passanten auf der Straße, die Kanal X für eigene Fernsehbeiträge aufnahm. Sie vermitteln ein authentisches Bild der ostdeutschen Befindlichkeit. Die Fragestellungen kreisen dabei um das Konsum- und Kaufverhalten im Zusammenhang mit der Währungsunion zum 1. Juli 1990, den Stand der deutschen Einheit oder Themen des Umgangs mit der DDR-Geschichte.

Sendebetrieb

Kanal X - Sendebetrieb

Insgesamt ging Kanal X 6mal auf Sendung. Die Sendungen dauerten jeweils ca. 2 Stunden. Die erste vom 17.3.1990 ist nicht erhalten geblieben. Aus finanziellen Gründen mussten Kassetten mehrmals verwendet und überspielt werden. So auch die Prämiere. Insgesamt sind zwei Sendungen, die vom Oktober und vom Dezember 1990, vollständig erhalten. Die hier z.T. gekürzten Filme geben einen Einblick in das sehr unkonventionelle Fernseh- und Videoexperiment.

Beiträge für eigene Sendungen

Kanal X - Beiträge für eigene Sendung

Neben Fremdproduktionen strahlte Kanal X in den Sendungen 1990/91 viele eigene Beiträge aus. Diese sind sowohl als kurze Reportagen angelegt, aber auch entsprechend dem Selbstverständnis als Video-Collagen mit Musik, historischen Filmausschnitten und Effekten der Bildverfremdung. In den Berichten werden die Probleme der Transformation auf kommunaler Ebene in ganz unterschiedlicher Ästhetik gespiegelt.

Interviews

Kanal X - Interviews

Neben den spontanen Befragungen auf der Straße gibt es eine Vielzahl von Interviews. Viele finden sich nicht in Beiträgen oder Reportagen wider. Ausführliche Interviews sind für die Reportagen „Merkur im neuen Gewand“, „Kohle machen um jeden Preis“ und „… früher waren wir gut genug“ gemacht worden. Darin kommen das individuelle Mühen und der Optimismus, sich in der neuen Zeit behaupten zu können, zum Ausdruck.

Reportagen

Kanal X - Reportagen

Nach der Einstellung des Sendebetriebes im April 1991 produzierte Kanal X mitunter längere Reportagen, die sich mit dem Zeitgeist beschäftigen. Darin kommen die Veränderungen im Alltag sehr stark zum Ausdruck, denn allgegenwärtig ist für die Protagonisten immer der Bezug zur DDR. Aber auch Werbefilme für regionale Unternehmen entstehen bis hin zum Werbespot, der in den Leipziger Kinos lief.

Mitschnitte von Veranstaltungen

Kanal X - Mitschnitte von Veranstaltungen

Viele Filme dokumentieren das Zeitgeschehen. Als akkreditierte Medienvertreter besuchte Kanal X Pressekonferenzen, politische Versammlungen, Demonstrationen oder Stadtevents. Entsprechend dem künstlerischen Anspruch lassen sich eine Vielzahl von Mitschnitten kultureller Veranstaltungen finden. Sie entstanden aus dem basisdemokratischen Verständnis von Kanal X, in dem sich jeder eine Kamera „schnappen“ konnte und entsprechend den Präferenzen (Theater, Modenschau, Performances) Kassetten bespielte.

Beiträge zur Ausbildung zum Medienpraktiker

Kanal X - Beiträge zur Ausbildung zum Medienpraktiker

Leipzig hatte den Anspruch, eine „Medienstadt“ werden zu wollen. Dafür brauchte es Fachkräfte. Kanal X bot als erste Institution in der ehem. DDR die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeit zum Medienpraktiker an. Der erste Studiengang begann am 1. Oktober 1992 und dauerte ein Jahr. Die Teilnehmenden übten sich in der Redaktion, der Handhabung der Technik und Regie. Aus diesen Kursen sind einige Arbeiten erhalten. Auch hier ist die Spannbreite wieder sehr vielfältig: von Satire über Reportagen bis Videokunst.

Rohmaterial

Kanal X - Rohmaterial

Den größten Anteil am Bestand umfassen Filme, die als Rohmaterial für die verschiedensten Produktionen oder einfach aus dokumentarischen Zwecken aufgenommen wurden. Sie haben einen überaus authentischen Wert, vermitteln sie doch eine detailreiche Bestandsaufnahme des städte- und landschaftsbaulichen Ist-Zustandes Anfang der 1990er Jahre in Leipzig und Umgebung. Als Schablone zur Gegenwart wird der immense Strukturwandel, der mit der deutschen Einheit einsetzte, deutlich.

Kanal X intern

Kanal X - Kanal X intern

Kanal X hielt auch seine Arbeit im Haus der Demokratie fest. Deutlich werden das große Engagement und der Spaß daran, neue Wege in der Medienlandschaft der DDR zu gehen. Bedeutend ist dabei der Mitschnitt vom Besuch der Deutschen Post am 5. Mai 1990, um den Sender abzuschalten. Auch hier wird offenbar, wie die alten Strukturen dem Enthusiasmus der Menschen nichts mehr entgegensetzen können – das „Alte“ gilt nicht mehr und das „Neue“ noch nicht.

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